Mittwoch, 15. Mai 2019

8. Mai 2019, ein interessanter Prozesstag am LSG Berlin Brandenburg

Ich war letzten Mittwoch als Prozessbeobachterin im Landessozialgericht Berlin Brandenburg.
zwei Verhandlungen - Herr H. in einer Regelsatzhöhenthematik und Ralph Boes bzgl. seiner fast zum Hungertod geführt habenden, von den Jobcenterleuten für unverrückbar erklärten und dann später dem widersprechend sang- und klanglos "aufgelösten" 100% Sanktion standen auf dem Plan...



Leider kam ich termin- und verbindungstechnisch bedingt nicht pünktlich zum Start der ersten Verhandlung, einer Klage des Herrn H. gegen sein Jobcenter, die ich an diesem Tage ansehen wollte.
Auf dem Weg zum Saal entdeckte ich, dass ganz früh im selben Zimmer, wo Ralph Boes später seine öffentlich beworbene Gerichtsverhandlung haben sollte, bereits eine Freundin, die pressebekannte "Frau Schmidt steigt aus", eine Verhandlung gehabt hätte.
Doch da diese einen Wohnungslosenkongress besuchte, konnte sie ja nicht dort gewesen sein.
Später am Tage erfuhr ich auch, dass auch der entsprechende Senat heute stark unterbesetzt war.

Doch nun war ich zuerst beim Prozess des Herrn H., der eine "Regelsatzhöhenklage" eingereicht hatte vor einigen Jahren.
Neben Herrn H. saß der von ihm mitgebrachte Beistand, der offenbar akzeptiert worden war.
Sein Redepart startete gerade, als ich den Saal betrat, in welchem nicht nur etliche Prozessbeobachtende, sondern auch zwei Justizwachtmeister saßen (zwei Stuhlreihen, bei
denen sie die jeweils äußersten Plätze besetzten).

Herr H. fängt an zu rügen, dass er keine Fahrtkosten erstattet bekomme dann stellt er einen Antrag auf wörtliche Protokollierung.
Der vorsitzende Richter zeigt sein Diktiergerät hoch und erklärt, dass "aufgenommen würde".
Leider hakt Herr H. nicht näher nach, denn erst am Ende der Verhandlung stellt sich heraus,
dass überhaupt nicht aufgenommen wurde anstelle eines wörtlichen Protokolls, sondern nur die übliche Aufzeichnung von vom Richter diktierten Anträgen über das Gerät stattfand.
Damit ist Herr H. aus meiner Sicht übelst in seinem Recht beschnitten worden und man hat ihn aus
meiner sicht sogar bewusst getäuscht. Sein Antrag auf wörtliche (!) Protokollierung der gesamten Verhandlung war eindeutig gestellt worden!

Da es den Vorwurf einer "Verfristung" gegeben hatte, also dass Herr H. zu spät Rechtsmittel gegen den Gerichtsentscheid in erster Instanz eingereicht hatte, stellt dieser klar, dass dies nicht an ihm gelegen habe.
Er rügt in diesem Zusammenhang das Sozialgericht Berlin.
Seine Klage sei zuerst noch nichtmal registriert worden und ohne Nachforschung seinerseits hätte
sich daran wohl auch nicht viel geändert.
Zudem sei er an der Hauptregistratur diebezüglich auch getäuscht worden.
Der Richter lenkt nun ein: "Aber diese Klage hier ist doch da und jetzt verhandeln wir doch."
Dass das gar nicht der Punkt ist, um den es Herrn H. gerade geht, scheint er damit geschickt zu überspielen.
Da der Richter offenbar die Rechtsbeugung im Sozialgericht nicht erkennt, stellt Herr H. in den Raum, den Richter schon fast zurückweisen zu wollen. Mehrfach versucht der Richter Herrn H. zu bremsen und abzuwürgen, sein rechtliches Gehör soll er offenbar nicht weiter ausschöpfen und lieber äußerst zügig eine empörungsfreie untertreibende Rüge mit Hilfe des Richters formulieren.

Herr H. rügt elementare Grundrechtsverletzungen, "Unklarheiten des Weges,
wie die Klage an das Landessozialgericht kam", dass dieses Vorgehen nicht rechtstaatlich sei,
insbesondere der Verbleib eines Kuverts.

Dass solche Punkte ein eigener Fall wären, ist dem "durchpreschen wollenden Richter" ziemlich nebensächlich, er drängelt Herrn H. zum nächsten Punkt zu kommen

Herr H. rügt: Gericht lese seine Schreiben nicht, Verletzung des effektiven Rechtsschutzes und rechtlichen Gehörs durch Verweigerung der Akteneinsicht.

In dem Zusammenhang stellt er (erneut) den Antrag auf vollständige Akteneinsicht unter Bestätigung der Vollständigkeit der Akten, derweil Aussetzung des Verfahrens nach § 114 SGG.
Souverän erbittet er in diesem Zusammenhang "richterlichen Hinweis"
bzgl. der §§ zur Formulierung dieses Antrags.

Er betont nachvollziehbar wie wichtig eine Akteneinsicht ist, bevor man zur eigentlichen mündlichen Verhandlung übergeht, also den eigentlichen Klageinhalt/Sachverhalt verhandelt.

Doch dies scheint dem Richter meiner Einschätzung nach gar nicht so wichtig.
Es riecht schon sehr danach, dass er Herrn H.s Berufung abweisen möchte und das mit aller Eile, da er sich aus den vielen ernsthaften Bedenken schon im gesamten Prozessaufbau gar keine Sorgen zu machen scheint.
Für ihn ist offenbar alles wesentliche erläutert und er will im Rahmen der Urteilsverkündung
über Herrn H.s Eilantrag/Antrag auf sofortigen Beschluss zur Akteneinsicht entscheiden - also dann wohl nix mit erstmal 'ne Akteneinsicht, damit Herr H. seinen eigentlichen Sachvortrag und darauf aufbauende Argumente in einem weiteren Termin vorbringen kann.


Es wird noch kurz die Jobcenterseite vernommen.
Der Mitarbeiter sitzt mit zwei fetten Aktenordnern da, die ungeöffnet an seiner Seite liegen.
Ob das alles ist, was zu Herrn H. an Material vorliegt.... nun ja, er räumt ein, dass die "Unzulässigkeit der Berufung (wegen Verfristung)" von ihm nicht mehr beantragt wird.
Inhaltlich sei die Klage bzw. Berufung unbegründet... das übliche, was die immer sagen und schreiben.

Da sich inzwischen auch herausgestellt hat, dass der Richter die Aufzeichnung/ergo wörtl. Protokollierung nicht vollzogen hat, sondern nur kurz zum Diktieren der Anträge sein
Aufnahmegerät hervorholt, stellt Herr H. einen Antrag auf Protokollberichtigung - dass eben KEIN
Wortprotokoll so aufgenommen sei.

Ziemlich barsch wirft der Richter ein, dass Herr H. sich ja gern später beschweren oder Verfahrensfehler bemängeln könne...

Dann warten wir alle gespannt im Raum während sich der Senat zurückzieht.

Ich entdecke auf dem Tisch zwischen Kläger und Beklagtensitzplätzen eine Karaffe und Plastikgläser in blauer Kristalloptik.
Ich frage in den Raum, für wen eigentlich das Wasser sei.
Einer der Wachtmeister sagt, "für Sie!"
Darauf bringt er mir sogar ein Glas Wasser.

Bald kommt der Senat in den Raum und anstatt einen Beschluss zu verkünden, folgt nun in der Tat wie schon befürchtet OHNE Akteneinsicht und OHNE zuvorige darauf basierende Klageausführung eine Urteilsverkündung.
Dieser Satz reicht mir, ich fühle mich angepisst als habe gerade jemand meine eigenen Rechte gebrochen und verlasse den Saal.



Schließlich soll jetzt auch Ralph Boes dran sein.
Ich gehe in den noch fast leeren Saal gleich nebenan, wo Ralph selber und ein weiterer Prozessbeobachter warten. Kurz später kommen jede Menge Leute hinzu, die alle wegen Ralph da
sind und auch den anderen Fall des Herrn H. beobachtet haben. Die Justizwachtmeister kommen auch hinzu und auch der Jobcentervertreter nimmt Platz.

Eine Frau in Zivilkleidung betritt 5 vor 12 den großen Saal durch die Senats-Hinterzimmertür - folglich muss sie vom Senat sein.
Sie ist wohl die Berichterstatterin und erklärt, dass die Schöffen bzw. eine davon krank seien und sie jetzt ganz allein da wäre. [anm. die Schöffen heißen im Landessozialgericht eigentlich "ehrenamtliche Richter" - die Richterin hat den korrekten Ausdruck verwendet]

Sie schlägt Ralph vor, einen "Erörterungstermin" zu machen und später per Gerichtsbeschluss zu entscheiden.
Alternativ kann der Termin sofort aufgehoben werden.

Das ist auch das einzig sinnvolle, was Ralph hier machen kann. Schließlich ist ja niemand da.*
Die Richterin sagt, ein neuer Termin "würde aber wieder eine Weile auf sich warten lassen".**

*Wir scherzen hinterher, dass das ggf. Absicht gewesen sein könne, doch sowohl ein uns bekannter Rechtsanwalt, der zuvor am Tag im selben Senat eine Verhandlung hatte, als auch unsere eigene Beobachtung vom Termin danach ergeben: die besagte Richterin ist allein im Haus, trägt keine Robe, verkürzt wenn möglich die Prozesse zu Erörterungsterminen.

**vielleicht wollen die auch erstmal Karlsruhe abwarten? So dass nicht in weiteren Eilverfahren und Empörungen, wie sie im Fall der Sanktionskaskaden mit Hungerfolge gegen Ralph Boes das Entscheidungsklima in Karlsruhe beeinträchtigen? Nun, das ist natürlich reine Spekulation, die wir
natürlich auch nur als solche markiert äußern.


Dieser Prozesstag wurde Euch und Ihnen geschildert von FriGGa. Für Vollständigkeit und unmissverständliche Richtigkeit des Geschilderten wird keine Haftung übernommen, sondern es stellt die subjektive Wahrnehmung des Geschehens aus meiner Perspektive dar.  


Ralph Boes selber zur Verhandlung: http://grundrechte-brandbrief.de/BUKA-berichte-ereignisse-2019.htm#2019-05-08
und zum Prozess insgesamt: http://grundrechte-brandbrief.de/BUKA-berichte-ereignisse-2019.htm#2019-04-30

1 Kommentar:

  1. "[...] Der vorsitzende Richter zeigt sein Diktiergerät hoch und erklärt, dass "aufgenommen würde". Leider hakt Herr H. nicht näher nach, denn erst am Ende der Verhandlung stellt sich heraus, dass überhaupt nicht aufgenommen wurde anstelle eines wörtlichen Protokolls, sondern nur die übliche Aufzeichnung von vom Richter diktierten Anträgen über das Gerät stattfand."

    Einen Kommentar dazu verkneife ich mir lieber, denn man muss in diesem Land wohl schon wieder vorsichtig sein, mit dem was man denkt, sagt und schreibt.

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